Egon Krenz: Reue kommt zu spät – Ein schonungsloser Blick auf seine Rolle in der DDR
Kaum war Angela Merkels Buch „Freiheit“ ausgelesen, tauchte bereits das nächste Werk auf, das die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zog: „Verlust und Erwartung“ von Egon Krenz. Doch dieses Buch ist mehr als nur eine Autobiografie – es ist eine Abrechnung mit sich selbst, ein schonungsloser Blick auf die Ereignisse, die zur Niedergang der DDR führten und Krenz' eigene Rolle darin.
Krenz, der nach Honeckers Sturz kurzzeitig Staatsoberhaupt der DDR war, versucht in seinem Werk, die komplexen politischen und gesellschaftlichen Umstände der Wende zu erklären. Er räumt ein, dass er zu spät erkannt hat, wie tief die Krise des Systems war und welche Auswirkungen die Öffnung der Grenzen haben würde. Allerdings bleibt der Eindruck, dass die Reue zu spät kommt, um die Konsequenzen seiner Entscheidungen aufzuwiegen.
Ein System im Niedergang: Krenz beschreibt die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung, die wirtschaftliche Stagnation und den Verlust des Vertrauens in die SED. Er betont, dass er versucht habe, Reformen einzuleiten, diese aber aufgrund der tief verwurzelten Strukturen und der Weigerung vieler Parteifunktionäre, sich auf Veränderungen einzulassen, gescheitert seien. Der Leser fragt sich, ob diese Reformen wirklich ausreichend gewesen wären, um den Untergang des Systems zu verhindern.
Die Rolle Krenzs: Das Buch wirft auch ein kritisches Licht auf Krenz' eigene Rolle. Er gesteht ein, dass er Fehler gemacht hat und dass er die Situation unterschätzt hat. Er rechtfertigt jedoch auch einige seiner Entscheidungen, indem er auf die Notwendigkeit verweist, die Ordnung aufrechtzuerhalten und die Stabilität des Landes zu gewährleisten. Diese Rechtfertigungen mögen für viele Leser schwer nachzuvollziehen sein, insbesondere angesichts der Ereignisse am 19. November 1989.
Der Fall der Mauer und seine Folgen: Ein zentraler Punkt des Buches ist der Fall der Berliner Mauer. Krenz beschreibt die chaotischen Ereignisse und die Überraschung über die Geschwindigkeit, mit der sich die Situation zuspitzt. Er kritisiert die mangelnde Koordination und die fehlende Kommunikation zwischen den verschiedenen politischen Akteuren. Das Buch wirft die Frage auf, ob der Fall der Mauer hätte verhindert werden können und welche alternativen Szenarien denkbar gewesen wären.
Eine Abrechnung mit der Vergangenheit: „Verlust und Erwartung“ ist letztendlich eine Abrechnung mit der Vergangenheit. Krenz versucht, seine Sicht der Dinge darzulegen und sich von der Last der Geschichte zu befreien. Ob ihm dies gelingt, ist fraglich. Das Buch wird sicherlich kontrovers diskutiert werden, da es viele unbequeme Fragen aufwirft und die Erinnerung an die DDR-Zeit wachrüttelt.
Fazit: Egon Krenzs Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der deutschen Geschichte. Es bietet einen Einblick in die Denkweise eines hochrangigen DDR-Politikers und regt zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit an. Allerdings bleibt der Eindruck, dass die Reue zu spät kommt und dass Krenz sich immer noch nicht vollständig mit seiner Verantwortung auseinandersetzt. Dennoch ist das Buch lesenswert für alle, die sich für die Geschichte der DDR und die Vorgänge rund um die Wende interessieren.